Wolffs offener Brief an Roland Koch im Wortlaut
„Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
nach neun Jahren harter Arbeit für eine bundesweit vergleichbare und hochwertige Schulbildung ist es sicher erlaubt, im Abstand nur weniger Tage nach der Wahl eine persönliche erste Bilanz zu ziehen. Ich bin mir sicher, dass im zeitlichen Abstand auch öffentlich angemessen gewürdigt wird, dass
– hessische Abschlüsse mittlerweile nicht mehr Gegenstand des Spotts, sondern der Anerkennung sind
– hessische Schülerinnen und Schüler heute wesentlich bessere Chancen auf einen Abschluss und offene Türen zu weiteren Anschlüssen haben
– eine volle Unterrichtsversorgung und verlässliche Vertretung mittlerweile Standard sind
– Bildung heute nicht mehr verengt auf Schule diskutiert wird, sondern frühkindliche Bildung und Weiterbildung einen großen Stellenwert besitzen
– die Instrumentarien eigenverantwortlicher Schule – mit all dem Kultur- und Mentalitätswandel, der damit verbunden ist – und transparenter Evaluation sich auf gutem Wege befinden
– Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund durch Sprachkenntnisse und eine bessere Lösung des Zusammenhangs zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg besser gelingt und sozialen Frieden fördert
– Erziehung wieder ein Thema von Bildungspolitik in unterschiedlichen Facetten von Erziehungsvereinbarungen, Gesundheit aller Beteiligten etc. ist…
Das Tempo der Reform in Hessen ist unbestreitbar hoch gewesen. Im Sinne der Kinder und Jugendlichen, die nur diese eine Schulzeit haben, war das notwendig, ist aber in Kombination zu anderen Maßnahmen als Belastung empfunden worden.
Die bildungspolitische Debatte des vergangenen Jahres ist auf wenige Themen verengt worden, in denen wie in anderen Bundesländern auch Nachsteuerungsbedarf besteht. Sie werden verstehen, dass ich bei aller Selbstdisziplin manche der vorgebrachten Vorwürfe in diesem und anderen Zusammenhängen als ungerecht betrachte.
Am Ende einer solchen Wahlauseinandersetzung muss es mir aber auch erlaubt sein, in Rücksicht auf die eigene Person selbst Entscheidungen zu treffen, gleichzeitig aber damit auch eine Chance zu eröffnen, mit einem neuen „Kopf“ im Bildungsbereich wieder stärker auf die Sache bezogen agieren zu können.
Meine Entscheidung, nicht mehr für eine neue Legislaturperiode für das Kultusressort zur Verfügung zu stehen, ist seit einiger Zeit gereift. Nunmehr scheint sich allerdings als eine Möglichkeit anzudeuten, dass die derzeitige Regierung aufgrund der schwierigen Wahlergebnisse einige Zeit länger geschäftsführend im Amt sein könnte. Ich möchte Sie bitten zu respektieren, dass ich mit dieser Entscheidung auch in einer möglichen geschäftsführenden Landesregierung nicht Kultusministerin bleiben möchte.
Mit dem Dank für eine großartige Zusammenarbeit und stets wunderbare Unterstützung durch Sie verbleibe ich mit besten Grüßen, Karin Wolff“